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Deutsche Comicforschung 2013

Inhalt

  • Die Berliner Eneide - ein Bildroman des Mittelalters
  • Vom Bilderbogen zur Comic Section
  • The Comical Peepshow. Wilhelm Busch auf Amerikanisch
  • Zauberer und Zeichenkünstler: Walter Sperling alias Tagrey
  • "Vater und Sohn" - eine Ikone aus neutraler Sicht
  • Ein Russe im Exil: Konstantin Kusnezow
  • Clever Stolz Bildgeschichten - der Comic zum Margarinewürfel
  • Rolf Kauka, der deutsche Disney: Fix und Foxi im Ausland
  • Innerdeutsche Grenze und Mauer im Spiegel der DDR-Comics
  • Hans-Jürgen Press

    Mitarbeiter dieser Ausgabe:
    Prof. Dietrich Grünewald, Dr. Helmut Kronthaler, Dr. Eckart Sackmann, Prof. Michael F. Scholz, Klaus Wintrich, Holger Vallinga, Thomas Vité

  • Eckart Sackmann (Hg.):
    Deutsche Comicforschung
    Band 9 (2013)
    144 Seiten, HC, rund 400 Abbildungen in Farbe, € 39,00
    ISBN 978-3-89474-232-4

     

    Abb. oben: Fol. 69r aus der sogenannten Berliner Eneide: Im oberen Bild sinnt Lavia über ihre Liebe zu Eneas nach, im Bild unten wird sie deswegen von ihrer Mutter zur Rede gestellt.

    Die Berliner Eneide, ein Bildroman des Mittelalters
    Von Dietrich Grünewald

    Im frühen 13. Jahrhundert entstand im süddeutschen Raum eine Bildfolge zum Eneasromans des Heinrich von Veldeke. Diese Erzählung in epischer Länge illustriert nicht den Text, sie ist eine eigenständige Interpretation des Stoffes und arbeitet dabei mit Mustern, die auch der moderne Comic verwendet.

    Es handelt sich hier um eine Geschichte in vorwiegend weiter Bildfolge, doch mit eingeschobenen Passagen von geringer Zeitdifferenz zwischen den Bildern. Der Urheber verzichtet auf Tituli und Kommentare, schließt aber in Synthese mit dem Bild Schriftelemente ein, Namensnennungen der Akteure oder der Orte sowie wörtliche Rede, die in Spruchbändern den Sprechern zum Mund oder zur Hand zugewiesen ist. Auch wenn sich die Form des Spruchbandes von der in den Comics genutzten Ballon- oder Kastenform unterscheidet, so haben wir es doch hier mit demselben narrativen System zu tun. Damit handelt es sich bei der Berliner Bilderhandschrift um den frühesten deutschsprachigen Sprechblasencomic von epischer Länge.

    Oben: Das Spruchband als Träger von Gedanken /(fol. 73r).

     

    Oben die erste Folge von "Käpten Priem" in Der Lustige Sachse 33/1929.

    Zauberer und Zeichenkünstler: Walter Sperling alias Tagrey
    Von Eckart Sackmann und Thomas Vité

    Er war ein Mann der vielen Talente, ein leidenschaftlicher Magier, ein Sachbuch- und Romanautor und - auf einem kurzen Stück seines Lebens - auch ein Comiczeichner. Nicht nur diese Comics, auch Walter Sperlings Beschreibungen des Metiers verdienen heute unser Interesse.

    In der Zeitschrift Der Lustige Sachse springt in Heft 33/1929 ein sehr wirkungsvoller, seitenfüllender Comic ins Auge. "Käpten Priem" ist eine Stehende Figur, wie man an bald folgenden weiteren Episoden erkennt, die in sich abgeschlossen und doch zusammenhängend sind. Der bärtige Seebär, der gern ein Pfeifchen raucht und dessen dunkler Nase man ansieht, dass er einem Glas Rum zuviel nicht abgeneigt ist, beginnt seine Laufbahn als Comic-Held in Hamburg. In den weiteren Episoden entführt der Zeichner den Leser auf eine fiktive Schiffsroute: Der Törn geht nach Holland, durch den Ärmelkanal und über England nach Irland. Wie vielseitig ein Zeichner damals sein musste, beschreibt Walter Sperling in den diversen Zeichenschulen, die er gegen Ende der 30er Jahre verfasst. Damit liefert er uns wertvolle Einblicke in das Selbstverständnis und die Arbeitsweise eines deutschen Pressezeichners vor dem Krieg.

     

    Erich Ohsers "Vater und Sohn" - eine Ikone aus neutraler Sicht
    Von Eckart Sackmann

    Abhandlungen zu "Vater und Sohn" stellen Ohsers Comic gemeinhin in eine Linie mit dem tragischen Ende des Zeichners. Das ist unzulässig - trägt es doch nicht dazu bei, das Werk vorurteilsfrei zu bewerten. Welchen Rang hat "Vater und Sohn" als Zeitungsstrip der 1930er Jahre wirklich?

    "Vater und Sohn" ist Ausdruck eines gelungenen Marketings unter optimalen Bedingungen. Optimal, weil die Position der Berliner Illustrirten als "größte aktuelle Illustrierte der Welt" der Serie eine Plattform und Verbreitung bot, wie es an keiner anderen Stelle in Deutschen Reich möglich war. Optimal, weil Ohser gerade dadurch, dass er formal betont traditionell blieb, dem "Gemüt" der Leser entsprach. Der Stellenwert von Ohsers Strip in der Geschichte des Comic ist dagegen gering. Man darf nicht die Bekanntheit eines Comics mit seinem künstlerischen und formalen Gehalt vermengen. Ohser griff im Grunde eine Form des 19. Jahrhunderts auf. Es stimmt einfach nicht, dass diese Form "das damals in diesem Medium Mögliche" war. Es stimmt auch nicht, dass Erich Ohser der bedauernswerte Zeichner war, der zeitlebens von den Nazis drangsaliert und schließlich in den Freitod getrieben wurde. Ohser hat beruflich von den 30er und 40er Jahren profitiert wie kein anderer Pressezeichner.

      

    Oben eine Parodie auf Ohsers "Vater und Sohn" in der SS-Zeitung Das schwarze Korps.

    Die Prominenz unter sich: Hans Albers und Erich Ohser auf der Biennale von Venedig 1942.

     

    Ein Russe im Exil - Konstantin Kusnezow
    Von Helmut Kronthaler

    Der Russe Konstantin Kusnezow war ein Wanderer zwischen den Welten, und das nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch. Seine Lebensumstände brachten es mit sich, dass er erst vor den Sowjets nach Jugoslawien floh, 1945 dann nach Deutschland kam und schließlich in die USA emigrierte.

    Die stilistische Vielfalt und professionelle Routine im Schaffen Kusnezows zeigen nicht nur dessen Buchillustrationen und Karikaturen, sondern vor allem das Magazin "Christmas Tree/Christbaum". Hier knüpft der Zeichner unmittelbar an seine jugoslawischen Arbeiten der 1930er Jahre an. Im Jahr 1948 kehrte Kusnezow nochmals zu seinen Wurzeln als realistischer Comiczeichner zurück. Für den Düsseldorfer Bildbuchverlag Hartmann konzipierte er, angelehnt an Viktor Efers Roman "Die entfesselten Atome", das erste Heft des als "Bilderroman in drei Teilen" geplanten Comics "Die Jagd nach dem Atomgeheimnis". Unter dem Titel "Der chiffrierte Brief" präsentierte der Exilrusse hier eine dynamisch-rasante Geschichte in der Tradition seiner an US-amerikanischen Zeitungsstrips orientierten Mika Mis-Stories. Das ambitionierte Projekt blieb bekanntlich ein Fragment.

      

    "Ende gut, Alles gut!" aus dem zweisprachigen Heft "Christmas Tree/Christbaum".

    "Die Jagd nach dem Atomgeheimnis" (1948).

     

    Rolf Kauka, der deutsche Disney: Fix und Foxi im Ausland
    Von Klaus Wintrich und Eckart Sackmann

    Die deutschsprachige Comic-Produktion ist weitgehend eine lizenznehmende gewesen. Davon hat der Leser möglicherweise profitiert, doch die eigene Kultur litt darunter. In den 50er und 60er Jahren bewies Rolf Kauka, dass sich Geld auch mit der Vermarktung deutscher Comics im Ausland machen lässt.

    Dass sich die Auslandslizenzen auf einen Zeitraum von grob zehn Jahren beschränken, hat auch mit der Verlagstätigkeit in Deutschland zu tun. In dem Augenblick, in dem Kauka sich entschloss, selbst billige Lizenzen aus Frankreich/Belgien einzukaufen, um Fix und Foxi damit attraktiv zu machen, fiel er als Rundum-Lizenzgeber aus - das selbst produzierte Material reichte nicht mehr aus, um im Ausland Woche für Woche ein Heft zu füllen. Wenngleich die Verbreitung von "Fix und Foxi" im Ausland den Untertitel des deutschen Hefts, "Pabels große europäische Jugendzeitschrift", untermauerte, so ist dennoch hinter der Lizensierung kein Prinzip zu erkennen. Der Ambition, es dem Vorbild Walt Disney gleichzutun, konnte ein im Aufbau befindlicher deutscher Verlag so nicht entsprechen. Das Ergebnis ist dennoch beeindruckend. Kauka und "seine" Comics waren in den 50er und 60er Jahre nicht nur eine europäische Marke, sondern erschienen lange Zeit auch in Mittel- und Südamerika.



     



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