Zurück zur Startseite comicforschung.de

Der nachfolgende Text entstammt der Publikation Satire(Mitteilungen der Wilhelm-Busch-Gesellschaft 1998), S. 36-45 (hier auch weitere Abb.). Hans Ries schrieb den Beitrag ursprünglich für den Band "The Comic Strip in the Nineteenth Century" (Pascal Lefèvre/Charles Dierick Hg., VUB University Press, Brüssel 1999), wo er in englischer Übersetzung abgedruckt wird.


Hans Ries
Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein
Bilderstreifen bei Wilhelm Busch

Will man Auftreten und Verbreitung von Bilderstreifen im Werk Wilhelm Buschs untersuchen, ist es angezeigt, zunächst zwischen Erarbeitungszustand, Publikationsvorlage und publizierter Form zu unterscheiden.

Als Erarbeitungszustand haben jene Unterlagen zu gelten, die der Künstler in der Konzeptionsphase einer Bildergeschichte erstellte: Skizzen, Studien, Entwürfe. Sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und verblieben in den Händen des Künstlers. Busch selbst ging leider so weit, diese Unterlagen nach Abschluß einer Arbeit fast ausnahmslos zu vernichten, so daß wir unser Urteil nur auf einige wenige, durch Zufall und glückliche Fügung erhalten gebliebene Belege stützen können. Als Publikationsvorlage hat dagegen jene Fassung zu gelten, die der Künstler dem Verleger zur Entscheidung über die Veröffentlichung vorlegte und die gegebenenfalls - aber nicht notwendig - beim Verleger verblieb. Im Gegensatz zur Entwurfsphase kann man hier von Reinzeichnungen sprechen. Wir kennen von Busch solche Vorlagen aus dem Besitz des publizierenden Verlags (gewöhnlich Braun & Schneider in München), aber auch aus seinem eigenen Besitz. Waren die Bilder für eine Reproduktion in Holzstich vorgesehen, so erfolgte die letztverbindliche Zeichnung des Künstlers erst auf dem Holzstock und ging als eigenständiges Kunstwerk beim Schnitt verloren, da sie vom Xylographen in das gestochene Bild transformiert wurde. Wurde die Arbeit dagegen unter Einsatz der fotografischen Übertragung reproduziert (das ist bei Busch seit 1876 mit "Herr und Frau Knopp" der Fall, als sein Verleger Bassermann zum Verfahren der Zinkotypie [Strichätzung] überging), so wurde direkt von der Reinzeichnung reproduziert.

Die publizierte Form einer Bildergeschichte weicht hinsichtlich der Anordnung der Bilder und des Textes oft von der Vorlage des Künstlers ab. Sie ergibt sich aus dem Medium, das der Verleger wählt. Bei Busch war dies zunächst die Zeitschrift, daneben auch der Bilderbogen, schließlich die Buchform. Die von Braun & Schneider herausgegebenen Fliegenden Blätter, die im Juli 1860 Buschs erste Bildergeschichte ("Die Maus oder die gestörte Nachtruhe") brachten, hatten Quartformat und zweispaltig aufgebaute Seiten. Die Bildfolge hatte sich deren schmaler Vertikalordnung zu fügen. Erschien der Beitrag dagegen als Bilderbogen (die "Münchener Bilderbogen" sind neben der Zeitschrift als das zweite Publikationsorgan des Verlags Braun & Schneider zu sehen), dann wurde hierfür gewöhnlich eine horizontale Anordnung in Bildzeilen gewählt, von denen je nach Bildgröße meist vier bis fünf auf einem Bogen Platz fanden, woraus sich eine Gesamtzahl von etwa 12 bis 15 Bildern für den Bogen ergibt. Die dritte Publikationsform des Verlags waren die Bilderbücher, von denen die Serie Münchener Bilderbücher seit 1861 erschien. Sie hatten als Format Queroktav, waren mithin von kleinem, mehr horizontalem Aussehen. Hier ergab sich eine splendide Anordnung der Bilder. Sie waren zu zweit oder gar allein auf einem Blatt angeordnet, das zudem - aus Gründen der Kolorierung - stets nur vorderseitig bedruckt war. Der Betrachter war daher stets nur mit einem oder zwei Bildern konfrontiert. Er folgte der Geschichte in isolierten Schritten, indem er von Motiv zu Motiv weiterblätterte. - Zuletzt aber publizierte der Verlag die erfolgreichsten Geschichten Buschs auch noch als Sammlungen in Albumform. Es waren dies umfangreichere Quartbände im Hochformat, bei denen je Seite gewöhnlich vier Bilder zwei zu zwei horizontal angeordnet waren, auch sie jeweils nur einseitig gedruckt.

Von daher wird deutlich, daß der Verlag die Bildergeschichten in den unterschiedlichsten Anordnungen, sowohl funktionell raumsparend, wie auch splendid bis opulent, darbot. Es kam immer wieder vor, daß eine Bilderfolge zunächst in der Zeitschrift, dann als Bilderbogen und schließlich auch als Bilderbuch erschien (beispielsweise "Naturgeschichtliches Alphabet" 1860 in der Zeitschrift, 1865 als Bilderbogen, 1867 im Sammelalbum, 1874 als Bilderbuch; "Bauer und Windmüller" 1861 als Bilderbogen, 1862 als Bilderbuch, 1868 im Sammelalbum). In jedem einzelnen Fall war die Präsentationsform eine andere. Hieraus wird klar, daß die Anordnung der Bilder nicht als Bestandteil der künstlerischen Konzeption, sondern als beliebig veränderbar betrachtet wurde.

Es fällt auf, daß es bei aller Variabilität in der Anordnung der Bilder damals jedoch nie zu Bilderstreifen im engeren Sinn gekommen ist. Zwar zeigen die Bilderbogen horizontale Bildzeilen, doch sind dabei die einzelnen Motive gleichmäßig über den ganzen Bogen gruppiert und stets locker nebeneinander gesetzt. Da Busch so gut wie immer offene, nicht von Randlinien eingefaßte Bildmotive schuf, sind auch die Bilder im Druck nie kastenförmig geschlossen, geschweige denn, daß diese Bilder nahtlos aneinanderschließen. Daher sind auch die Bildreihungen der Bilderbogen nie blockförmig gedacht und ergeben keinen engeren Zusammenhalt. Daß Bildzeilen wie Textzeilen eine Seite kompreß füllen, wie wir das später in den Comics sehen, kommt in jener Zeit in München nicht vor.

Busch trug der Tatsache, daß es für die Bildergeschichten keine verbindliche Präsentationsform gab, sondern diese fallweise festgelegt wurde, insofern Rechnung, als er die Vorlagen seiner Bildergeschichten als lose Einzelzeichnungen lieferte, bei denen zwar die Abfolge, nicht aber die räumliche Anordnung festgelegt war. Aus den erhaltenen Originalzeichnungen Buschs zu publizierten Bildergeschichten läßt sich entnehmen, daß er diese Zeichnungen zuvor auf einem größeren Blatt angefertigt und dann einzeln ausgeschnitten hat. Die einzelnen Zeichnungen von meist kleinen Abmessungen (etwa 80x100 mm) erscheinen daher als lose Blättchen, die Busch gewöhnlich durchnumerierte. Den Text hatte er entweder - selten - unmittelbar unterhalb dieser Zeichnungen angebracht oder aber gesondert auf einem Blatt Papier notiert und mit der zugehörigen Bildzählung versehen. Wenn er hingegen ein Manuskript in der Art einer Bilderhandschrift anfertigte (wie etwa bei "Max und Moritz", entstanden 1863/64), so klebte er die losen Zeichnungen auf die mit dem Text beschrifteten Blätter und erzielte damit annähernd den Eindruck einer Seite des späteren gedruckten Buches. Die Publikationsvorlage konnte bei Busch also eine Folge loser Einzelzeichnungen sein oder deren montierte Anordnung auf Blättern, die daneben den Text enthielten. Im letzteren Fall war sie mehr oder weniger maßgebend für die Umsetzung im Druck. Aber auch dann kam es bei Busch niemals zu einer Anordnung in Bilderstreifen.

Daher kommt einem Blatt besondere Bedeutung zu, das sich als Unikum im Schaffen Buschs erhalten hat. Es ist dies der Entwurf zu einer Bildergeschichte "Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein", die in der vorliegenden Form nicht zur Ausführung gekommen ist. [Bild 144 KB] Vielmehr hat Busch den Stoff abgewandelt und aus ihm zwei Bilderbogen gestaltet, die 1866 unter den Titeln "Die Strafe der Faulheit" und "Der Lohn des Fleißes" ("Münchener Bilderbogen" 431 und 432) erschienen sind. Dabei wurde der ursprüngliche Stoff so weit verändert, daß dies für Busch offenbar der Anlaß war, das ursprüngliche Konzept - entgegen seiner sonstigen Praxis - aufzubewahren. Das fragliche Blatt im Format 448x279 mm wurde in "Wilhelm Busch/Künstlerischer Nachlaß" (München: Hanfstaengl 1908) in Lichtdruck publiziert.

Dieser Entwurf zeigt nun in nahtlos dichter Anordnung drei übereinander gestellte Bildzeilen mit 4/3/5 Bildern, die lediglich durch eine senkrechte Linie voneinander abgegrenzt sind. Unterhalb der Bilder ist ein schmaler, horizontal verlaufender Raum für den Text freigelassen, an den darunter sogleich die nächste Bildzeile anschließt. Sieht man vom quergestreckten Blattformat ab, dann ähnelt dieser Seitenaufbau verblüffend dem der Comic-Seiten, ehe sich dort die dynamisch veränderte Bildhöhe durchsetzte. Insbesondere entspricht die höchst variable Breite der einzelnen Bilder bei gleichbleibender Blattbreite ganz dem bei Comics geübten Verfahren. (Eine Variierung der Bildbreite ist bei Busch übrigens in mehreren seiner Bilderbogen gegeben, so in "Diogenes und die bösen Buben von Korinth", 1862; "Adelens Spaziergang", 1864; "Der unfreiwillige Spazierritt", 1865. Daneben begegnet bei Busch aber auch schon der bilddramaturgisch effektvolle Wechsel der Bildhöhe innerhalb einer Geschichte, nämlich in "Der kleine Maler mit der großen Mappe", 1859; "Der Bauer und der Windmüller", 1861; besonders aber in "Das Raben-Nest", 1861, und in "Zwei Diebe", 1862.)

Dagegen fehlt bei "Der böse Hundsfänger" die unmittelbare Einbeziehung des Textes ins Bild, wie man es bei Comics gewöhnt ist, sei es durch Blasen, sei es durch frei in den Bildraum gesetzte Schrift. Doch ist auch - vor allem bei mehr erzählendem Text - die Verweisung der Schrift in einen Textsockel von gleichmäßiger Höhe unterhalb der Bilder, wie es Busch in besagtem Blatt vornimmt, in Comics nicht unbekannt.

Mit all dem antizipiert Busch lange vor Erfindung der Bilderstreifen die gedrängte Füllung eines Blattes mit Bildzeilen, so daß der Bogen "Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein", auch wenn er zu Lebzeiten des Künstlers in dieser Form nicht publiziert worden ist, zu den Inkunabeln der Comic-Geschichte gerechnet werden muß. Busch selbst ist innerhalb seines Bildergeschichtenwerks dieser zukunftsträchtigen Form niemals näher gekommen als hier.

Es fragt sich daher, was ihn zu diesem formalen Experiment veranlaßt haben kann. Die Antwort fällt ernüchternd aus: Es war offenbar weniger ein formales Bewußtsein und eine gestalterische Absicht als ein betontes Zweckmäßigkeitsdenken. Denn Busch, dem seit Kindertagen Sparsamkeit zur Natur geworden war, ging zeit seines Lebens mit Papier geradezu geizig um. Die Verwendung der Rückseiten bereits benutzter Blätter war für ihn ebenso selbstverständlich wie das randvolle Ausnutzen der Papierfläche, wobei er einen irgendwo verbliebenen Leerraum auch geraume Zeit später noch mit einer weiteren Zeichnung füllen konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die konsequente Raumausnutzung bei seinem Bildergeschichtenentwurf zu sehen. Es ist äußerste Ökonomie im Umgang mit dem Zeichenmaterial, die ihn dazu bringt, Bild an Bild zu drängen und den knappen Text - im vorliegenden Fall lediglich ein textlicher Rohentwurf - zwischen die Bildzeilen zu pressen.

Gleichwohl ergibt sich dabei mehr als nur ein Zufallsprodukt: Unwillkürlich gerät dem Zeichner Busch auch dieser knappe Aufbau in seiner dichten Fügung zu einem ästhetischen Produkt. Schon die gleichmäßige Aufteilung der Geschichte über die gesamte Blattfläche hin, die damit einhergehende Bündigkeit der Außenränder aller Bildzeilen, aber auch die Auflockerung, die der dazwischenliegende Text bewirkt, schließlich die krönende Betitelung der Geschichte durch eine mittig angeordnete Überschrift - all das verrät ein formales Empfinden für die Anlage des Blattes, das dadurch einen ästhetischen Eigenwert gewinnt, selbst wenn es sich um eine nur beiläufig zustandegekommene Form handelt. Daß das Konzept nicht etwa einen ersten flüchtigen Entwurf darstellt, sondern bereits zu einer gewissen Verbindlichkeit geronnen ist, verrät die Technik, bei der unter den Zeichnungen in Feder und Sepiatusche stellenweise eine Unterzeichnung in Bleistift erkennbar ist: Zeichen für eine vorbereitende Anlage des Blattes, die es über einen bloßen Skizzenzustand hinaushebt.

Eine weitere Vermutung ist in diesem Zusammenhang von Belang: Auch wenn es sich bei dem Blatt um ein Unikum in Buschs Hinterlassenschaften handelt, ist damit keineswegs entschieden, daß es der einzige Fall ist, bei dem sich der Künstler eines solchen Verfahrens bedient hat. Da Busch, wie eingangs bemerkt, seine Produktionsunterlagen nach Abschluß einer Arbeit fast ausnahmslos vernichtet hat, ist es durchaus denkbar, daß es gleichartige Entwurfszeichnungen zu mehreren seiner Bildergeschichten gegeben hat, ja, es ist nicht einmal auszuschließen, daß dies für ihn eine generelle Arbeitsphase darstellte, so daß man vielleicht sogar für eine Vielzahl von Buschs Bildererzählungen von der ursprünglichen Existenz derartiger Konzeptbogen ausgehen darf, die dann lediglich den Aufräumungsarbeiten des Künstlers zum Opfer gefallen sind. Trifft dies zu, so haben wir in "Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein" den einzigen erhaltenen Beleg für den Erarbeitungszustand eines Handlungskonzepts, bei dem die konsequent angeordnete Bilderfolge bereits den Gesamtumfang der Geschichte umreißt, während der Text noch nicht in der für Busch konstitutiven Reimgestalt auftritt, sondern die Handlung nur in dürren Prosasätzen skizziert erscheint. Das Denken in solchen Bildzeilen muß dann aber für Busch eine selbstverständliche Angelegenheit gewesen sein, und es ist - falls diese Hypothese zutrifft - nur zu bedauern, daß wir nicht mehr über den Fundus ähnlich angelegter Entwürfe verfügen, der sich ergeben hätte, wenn Busch mit seinen Arbeitsunterlagen weniger rigoros verfahren wäre.

Anders als im vorliegenden Fall, bei dem es schwer fällt, den Grad der bewußten, auf den künstlerischen Effekt zielenden Gestaltung zu bestimmen, den Busch intendiert hat, kann bei vier weiteren Streifen mit Bildergeschichten von einer gezielt angelegten künstlerischen Form gesprochen werden. Es handelt sich dabei um Ausschnitte aus oder Wiederholungen von Bildergeschichten in Friesform, die als selbständige und repräsentative Originalarbeiten angefertigt und mit einem größeren Sorgfaltsgrad ausgeführt sind, als dies etwa für Vorarbeiten zu Bildergeschichten gilt. Es sind dies: die 1867 datierte Bilderstreifenfassung von "Der hohle Zahn" (Verbleib unbekannt; in den 1960er Jahren Privatbesitz in Philadelphia/Pa.), die ebenfalls in repräsentativer Bilderstreifenform gearbeitete Zierhandschrift zu "Vetter Franz auf dem Esel", wohl von 1868, ferner "Die moderne Circe", datiert 1868, (beide Wilhelm-Busch-Museum), schließlich der in Leipzig (Museum der bildenden Künste) befindliche Fries "Die Versuchung des Heiligen Antonius", vermutlich von 1871. In allen Fällen fehlt der Text, den Busch früher oder später seinen Bildergeschichten hinzugefügt hat. Dadurch rückt der reine Bildcharakter dieser Arbeiten noch mehr in den Vordergrund.

Bei "Der hohle Zahn" sind es mehrere (insgesamt acht) unterschiedlich lange Kartonstreifen, auf denen Busch die gesamte, 25 Motive umfassende, äußerst beliebte Bilderfolge, die 1862 zuerst in den Fliegenden Blättern publiziert worden war, noch einmal abwickelt. Hierbei werden die einzelnen Motive so nebeneinander aufgereiht, daß sie nicht mehr als isolierte Bildeinheiten erscheinen, sondern mehr oder weniger einen Zusammenhalt gewinnen, vor allem indem die Schattenschraffierungen im Hintergrund ineinanderwachsen und so zwei Motive zusammenbinden. Am deutlichsten wird diese Ineinanderziehung der Motive in den Darstellungen beim Zahnarzt, wo das Mobiliar im Hintergrund aus dem einen Bild in das nächste hinüberreicht. Die flüssige, streifenförmige Abfolge erhält dadurch Vorrang vor einer bloß additiven Aneinanderreihung von Einzelbildern, die friesweise Anordnung wird zum künstlerischen Prinzip erhoben, wobei hinzukommt, daß auch die dezente Aquarelltönung, die die Bleistiftzeichnung bereichert, die Folge zu einem eigenständigen Kunstwerk aufwertet.

Bei "Vetter Franz auf dem Esel" sind es lediglich drei Streifen, nunmehr aus kräftigem grauem Karton, 76-80 mm hoch und 309, 311 und 470 mm lang, auf denen die insgesamt 13 Motive der publizierten Bildergeschichte wiederholt sind. Auch hier wird durch die enge Aneinanderfügung der einzelnen Motive eine durchgehende streifenförmige Komposition erzielt. Wieder tritt zu den Bleistiftzeichnungen die Verwendung von Farbe hinzu, die in Verbindung mit dem Grauton des Trägers von exquisiter Wirkung ist. Anstelle eines Titels erscheint eine knappe, wie ein Motto angefügte Prosazeile Text.

"Die moderne Circe" beschränkt sich auf einen Streifen mit fünf Bildern. Sie bilden den Kern der "Die Verwandlung" benannten Bildergeschichte (erschienen 1868 als "Münchener Bilderbogen" 474). Dabei wird geschildert, wie der Knabe Karl von einer Hexe in ein Schwein verzaubert wird. Die einzelnen Motive sind zwar näher aneinandergerückt als im Bilderbogen, aber sie berühren und überschneiden sich an keiner Stelle. Da aber stets dieselben Personen in einer Art Miniaturballett auftreten, erwecken die verwandt wirkenden Bilder den Eindruck einer Variationenfolge, wodurch sich der Streifen einer Frieskomposition annähert. Wie bei "Vetter Franz auf dem Esel" ist der Träger ein graugetönter Karton, zur Bleistiftzeichnung treten farbige Aquarelltöne hinzu.

Der sogenannte "Antoniusfries" in Leipzig schließlich hat sich am meisten von der Eigenart einer Bildergeschichte entfernt. Zwar wird auch in ihm nichts anderes als die Bilderfolge einer Bildergeschichte wiederholt - nämlich das Versuchungskapitel aus dem Buch "Der heilige Antonius von Padua" von 1870 -, doch zeichnet ihn eine eigenartig farbenprächtige und malerische Behandlung aus (braune Tusche/ Aquarell über Bleistiftunterzeichnung mit Weiß- und Goldhöhungen), die ihn am ehesten wie ein malerisches Kunstwerk, nicht wie eine Bildergeschichte erscheinen lassen. Die insgesamt zwölf Motive dieser als Ballett gestalteten Versuchung sind auf zwei gleichartigen Streifen angeordnet. Die lange Streckung der Komposition verwandelt auch hier die einzelnen Bilder, auf denen nichts anderes als die Personnage von Heiligem und Teufel in Gestalt einer versuchenden Tänzerin erscheint, in eine friesartige Reihung, die man als inhaltlich und kompositionell zusammenhängende Darstellung erlebt.

All diese Beispiele entstammen dem Zeitraum zwischen 1867 und spätestens 1871. Sie belegen, daß Busch in dieser Zeit formal mit der Friesform experimentiert hat, wobei er die Darbietungsform seiner Bildergeschichten in Richtung auf eine eigenständige Bildlösung fortzuentwikkeln bestrebt war. Hintergrund für diese Versuche scheint der Wunsch nach ansehnlichen Geschenken gewesen zu sein, mit denen der Bildergeschichtenzeichner Busch seine komischen und unterhaltsamen Arbeiten, die sonst nur im gedruckten Medium vorlagen, als Kunstwerke offerieren konnte. Dies erweist jedenfalls die Provenienz all dieser Arbeiten aus dem Hause Kessler in Frankfurt, an dessen Hausherrin, Buschs verehrte Mäzenin Johanna Kessler, diese Präsente adressiert waren.

Ist hierin der Versuch einer Überhöhung des als wenig repräsentativ erscheinenden Mediums der Bildergeschichte zu sehen, so stellt der wesentlich anders geartete Entwurf "Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein" eine Art "dummy" zur Bildergeschichte dar, deren Druckausführung freilich hiervon notwendigerweise abwich. Gleichwohl formuliert Busch damit eine Ästhetik der Bildanordnung, die den Keim zur Weiterentwicklung in sich trägt, auch wenn diese Möglichkeit von ihm nicht mehr verfolgt worden ist. In nuce sind jedenfalls bereits bei Busch die formalen Voraussetzungen zur Erscheinungsform des modernen Comics gegeben.

(Copyright © 1998 Hans Ries)

Hans Ries ist Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Bildergeschichten von Wilhelm Busch (Hannover 2002). Ferner ist er Autor des Kompendiums "Illustration und Illustratoren 1871-1914" (Osnabrück 1992).

[Seitenanfang] [Hauptseite Lesesaal] [Startseite comicforschung.de]


Copyright © 2006 Verlag Sackmann und Hörndl