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Eckart Sackmann
Keine Sprechblasen

Warum wurden Sprechblasen im Comic erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts üblich, obwohl sie in der Karikatur weit früher in Gebrauch waren? Möglicherweise hängt dieses Phänomen mit der Entwicklung der Drucktechnik zusammen.

Vorformen der Sprechblasen lassen sich bereits in mittelalterlichen Spruchbändern ausmachen. Ihre moderne Ausprägung gewannen die Dialogträger allerdings erst in der englischen Karikatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Über James Gillray und George Cruikshank fanden sprechblasengespickte Einzelbilder in ganz Europa ihre Liebhaber. Von daher muß es erstaunen, daß die Schöpfer der frühen Bildergeschichten - nur wenige Jahrzehnte später - für das Element Sprechblase keine Verwendung zu haben schienen.

Hier könnte es von Interesse sein, einen Blick auf die mediale Präsentation von Karikaturen oder Bildergeschichten zu werfen. Die englischen Satiriker veröffentlichten ihre Arbeiten üblicherweise in Form von handkolorierten Kupfertiefdrucken (zumeist Radierungen, evtl. mit Aquatinta). Bei diesem Verfahren zeichnet der Künstler positiv (wenngleich seitenverkehrt) auf eine polierte Kupferplatte, von der nach der Ätzung derart gedruckt wird, daß die der Zeichnung entsprechenden Vertiefungen die Farbe aufnehmen und an das Papier weitergeben. Daher der Name Tiefdruck. Die Herstellung solcher Bilder war relativ aufwendig, und die Platten erlaubten nur eine geringe Anzahl von Abzügen. Die Karikaturen waren daher relativ teuer und kursierten denn auch vorwiegend in besser situierten Kreisen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden mit dem Holzstich und der Lithographie zwei neue Druckverfahren entwickelt, die sich vom Tiefdruck grundlegend unterschieden. Beide - das eine ein Hochdruck-, das andere ein Flachdruckverfahren - sollten dazu beitragen, daß Druck-Erzeugnisse im Laufe des folgenden Jahrhunderts zu einer Massenverbreitung gelangten, die alle Bevölkerungsschichten einbezog. Doch nur der Holzstich hatte den Vorteil, daß man ihn gleichzeitig mit gesetzter Schrift drucken konnte.

Die frühe Illustriertenpresse - in Deutschland ab 1843 die Leipziger Illustrirte Zeitung - machte sich dies zunutze und vereinte somit Schnelligkeit und preiswerte Herstellung. Bevor man die Möglichkeit entdeckt hatte, wie sich Bild und Text in einem Druckgang kombinieren ließen, hatten die im Hochdruckverfahren produzierten Zeitungen kaum Bilder enthalten. Umgekehrt kannten künstlerische Medien - wie etwa die anfangs zumeist als Lithographie gefertigten Bilderbogen - Probleme mit dem gesetzten Text.

Der Schweizer Rodolphe Töpffer hatte in den 30er Jahren seine ersten Bildromane veröffentlicht, gedruckt als Autographie, einer besonderen Form der Lithographie. Die Autographie war ein Umdruckverfahren, das es dem Künstler erlaubte, seitenrichtig zu zeichnen und handschriftliche Texte direkt mit den Bildern zu verbinden. In Deutschland imitierten zehn Jahre später Theodor Hosemann und Adolph Schroedter den Stil Töpffers - zu einer Zeit, als der Hochdruck schon im Begriff war, sich als das Massendruckverfahren der Zukunft durchzusetzen. Nicht den Einzelbildern (oder Sammlungen davon), sondern den in gesetzten Text eingebundenen Illustrationen gehörte die Zukunft.

Das hatte auch Kaspar Braun begriffen, der den Holzstich in Frankreich studiert und der in München ein xylographisches Atelier eingerichtet hatte. Damit waren die technischen Voraussetzungen für die Zeitschrift Fliegende Blätter gegeben, die ab 1844 bei Braun & Schneider erschien. Dieses reich illustrierte Satire- und Witzblatt bestimmte für die nächsten 50 Jahre die Standards der unterhaltenden Illustration und war für die Geschichte des Comic von immenser Bedeutung.

Vom künstlerischen Standpunkt gesehen, brachte der Siegeszug des Holzstichs allerdings Einschränkungen für die Bild-Erzählung. Franz von Poccis "Der Staatshämorrhoidarius" (ab 1845 in den Fliegenden Blättern) unterscheidet sich enorm von den bekannten Handzeichnungen des Künstlers - und auch von den Arbeiten in Töpfferscher Manier. Denn mochte der Holzstich auch den gemeinsamen Druck von Bild und Text erlauben, so stand er doch einer engen Verbindung beider entgegen, da Schrift und Zeichnung nach dieser Methode nur räumlich nebeneinander existieren konnten.

Der Holzstich ist ein Hochdruckverfahren. Gedruckt werden nur die erhabenen Stellen der Vorlage. Für die Zeichnung bedeutet das, daß der Holzstecher nicht die vom Künstler vorgegebenen Linien ins Holz arbeitet, sondern im Gegensatz alles Material um diese Linien herum wegschneiden muß. Hinzu kommt, daß die Zeichnung auf dem Holzblock seitenverkehrt ist. Natürlich ließe sich so auch Schrift stechen; es wäre aber sehr aufwendig. Da es mit dem Bleisatz ein viel bequemeres, schnelleres und billigeres Mittel für Schrift gab, machte dieser Aufwand wenig Sinn.

Vermutlich haben auch Lesbarkeit und "Modernität" gesetzter Texte in diesen Überlegungen eine Rolle gespielt und der Vorteil, daß sich Holzstöcke und Textblöcke beliebig kombinieren ließen. Deswegen konnten Braun & Schneider einen Teil der in den Fliegenden Blättern erschienenen Bildergeschichten später auch in anderer Zusammenstellung zweitverwerten - in den "Münchner Bilderbogen" etwa oder als Buch.

Nicht nur im Fehlen einer Verschränkung von Bild und Text, wie man sie noch bei Gillray und Töpffer gesehen hatte, war die moderne Form der Bild-Erzählung ihren Vorläufern künstlerisch unterlegen. Auch im Duktus erreichte der Holzstich nicht die Leichtigkeit der Zeichnung, da der Künstler seine Illustration mit Blick auf das mögliche Druck-Ergebnis "umdenken" mußte. Hinzu kam, daß das Stechen selbst in der Regel nicht vom Zeichner, sondern von einem professionellen Xylographen vorgenommen wurde. Mit der Erfindung phototechnischer Übertragungsverfahren ließ sich erst seit den späten 60er Jahren die Vorlage leichter und präziser auf den Holzstock übertragen.

Wie groß der Unterschied zwischen Zeichnung und Druck sein konnte, belegen etwa die Arbeiten Wilhelm Buschs, zu denen Skizzen erhalten sind. Während "Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein" [144 KB], die Vorstudie zu den 1866 als "Münchner Bilderbogen" veröffentlichten Geschichten "Der Lohn des Fleißes" und "Die Strafe der Faulheit", schon fast an die Comics des 20. Jahrhunderts erinnert, ist die Umsetzung als Holzstich vergleichsweise steif.

Nun hatte sich durch den jahrzehntelangen Gebrauch von Bildergeschichten mit Untertext (der zumindest bei Busch auch Dialogtext und sogar Pengwörter enthielt!) eine bestimmte Form etabliert. Durch den phänomenalen Erfolg von "Max und Moritz" wurde diese Form zum Standard; sie wurde wieder und wieder kopiert. "Max und Moritz" kommt demnach eine merkwürdige Zwitterstellung zu. Obwohl die Inhalte dieser Erzählung die um die Jahrhundertwende arbeitenden amerikanischen Zeichner ausgiebig beflügelten, haben Buschs "böse Buben" in den Jahrzehnten zuvor die formale Entwicklung des Comic vermutlich abgebremst.

Die Technik hätte schon seit den 70er Jahren andere Darstellungsformen erlaubt. Das Festhalten an der Tradition und am populären und erfolgreichen Vorbild könnte wenigstens in Deutschland dazu geführt haben, daß sich eine bestimmte, archaische Form der Bild-Erzählung weit über ihren künstlerischen Höhepunkt hinaus fortgesetzt hat. Erst im Schmelztiegel USA, wo sich in der Mischung von künstlerischer Unbekümmertheit und dem Druck, etwas aufsehenerregend Neues zu schaffen, der Comic über die Sprechblasen "dramatisierte", erhielt die Form um die Jahrhundertwende einen neuen, wegweisenden Evolutionsschub.

(Der obige Artikel erschien zuerst in RRAAH! 45 vom November 1998)

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