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Abstract

Rike Bolte
Pato Donald provoziert einen Subkontinent
Der lateinamerikanische Comic als autonomes Medium einer marginalisierten Moderne

Der Comic stellt ein ästhetisches Medium dar, das in der Verwendung von Zeichenregistern hybrid verfährt, nämlich zwischen Bildlichkeit und Schriftlichkeit angesiedelt ist. Als exemplarisches Medium der Moderne, das mit dem verstärkten Eintritt des Kunstwerks in das "Zeitalter seiner technischen Reproduzierbakeit" besondere Kontur erlangt, debütiert er über die Presse und erstreitet sich seinen Raum innerhalb der aufkeimenden Massenkultur. Gemäß der Figuren-Tradition der ersten nordamerikanischen Comicstrips liefert er prekäre Helden aus dem urbanen Milieu; gleichzeitig eignet ihm auf spezifische Weise die Kapazität, die Parameter der Moderne einzufangen. Beschleunigung, Sonorisierung und Fragmentarisierung sowie ein Rest epischer Grundausstattung spiegeln die Perzeptionsmodelle einer Episteme wieder, die sich vor allem im energetischen und symbolischen Haushalt des Metropolitanen finden.

Lateinamerika reagiert auf das in den U.S.A. geborene Genre bald mit einer eigenen Comic-Produktion, die ihr Zentrum in den urbanen Zentren Mexikos, Argentiniens, Brasiliens und Chiles hat, doch immer auch am nordamerikanischen "Original" orientiert ist. Der mit den 1960er und 1970er Jahren verstäkt einsetzende Widerstand gegen das imperialistische Zeichensystem des "großen Bruders" impliziert jedoch das Desiderat eines souveränen Umgangs mit autochthonen ästhetischen/kommunikativen Medien und Medialisierungsformen (hier siehe etwa Ariel Dorfman/Armand Mattelart: "Para leer al Pato Donald", 1974).

Die Entwicklung des lateinamerikanischen Comic schreibt sich in diesen Kontext ein: zwar ist dieser von unterschiedlichen Comicschulen der U.S.A. (ebenso Italiens, Frankreichs und Japans) inspiriert, doch bietet er zweifelsfrei eine eigene Variante sequentiellen ikonisch-visuellen/verbalen Sprechens, die heute zudem dank des Internet gute Möglichkeiten der transnationalen Diffusion findet. Nicht nur in den urbanen Zentren des Subkontinents experimentieren AutorInnen und KünstlerInnen mit den Möglichkeiten, die die Gattung bietet, sondern auch an den 'Rändern' Lateinamerikas (Bolivien, Paraguay, Ecuador etc.) werden teilweise subversive Ausdruckswege gesucht, die das heterogene Laboratorium der Moderne bebildern bzw. schriftlich bezeichnen. Dabei nehmen sie an der spezifischen Sprache der Hypermoderne teil, vermengen diese aber gleichzeitig mit Elementen aus dem Reservoir autochtoner mythologischer und gar indigener Narrative.

Der lateinamerikanische Comic, das wird der Vortrag darlegen, besitzt eine ausgesprochene Kapazität, die Zeichen, die dem hybriden Genre (als einem spezifischen ästhetischen Laboratorium) zur Verfügung stehen, auf eine selbstbewusste Weise zu ordnen und es darin zu widerständigen Manifestationen einer von der kulturellen Hegemonie der U.S.A. marginalsierten Moderne kommen zu lassen (die wiederum selbst ein zwischen eigener Peripherie und eigenem Zentrum hybridisiertes Laboratorium darstellt.)


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