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Abstract

Sigrun Galter
Narratologische Überlegungen zur Phasenbildung in der Comicrezeption

Spätestens seit Scott McClouds "Understandig comics" hat sich Will Eisners Definition vom Comic als sequentieller Kunst weitgehend durchgesetzt. Gerade Ansätze aus dem Bereich der Erzählforschung gehen von der Textualität der Panelfolgen aus und untersuchen, wie Prozesse der Sinnkonstituierung in der fortschreitenden Rezeption von Panel zu Panel angeregt werden. Dabei wird die Tatsache bisher unzureichend reflektiert, dass der Prozess einer Sinnkonstituierung nicht nur auf der Ebene der Strukturverbindungen zwischen Panels einsetzt, sondern bereits beim ersten Blick auf einen Strips bzw. die einzelne Seite eines Comics in Gang gesetzt wird. Beim ersten Blick auf eine Comicseite wird diese vom Rezipienten als Gesamteinheit simultan erfasst, eventuell werden danach einzelne Panels selektiv herausgegriffen und erst anschließend werden die Panels konsekutiv betrachtet und gelesen. Obwohl diese Phasenbildung im Grunde allgemein bekannt ist, werden ihre Konsequenzen z.B. für die narratologische Analyse von Comics bisher kaum beachtet.

Anhand einiger Beispiele aus Winsor McCays "Little Nemo in Slumberland" möchte ich Ansatzmöglichkeiten aufzeigen, comicspezifische Ausdrucksmittel, die vor allem in der Phase der simultanen Rezeption wirksam sind, zu analysieren. Dabei gehe ich davon aus, dass die Rezeption der gesamten Comicseite als Struktureinheit sich maßgeblich auf die folgende Panel-für-Panel-Rezeption auswirkt. Zudem möchte ich dafür plädieren, dass in der Analyse dieser zweiten Rezeptionsphase neben den Panelsequenzen, also der syntagmatischen Ebene der Panelverbindungen, auch paradigmatische Beziehungen zwischen Panels stärker berücksichtigt werden sollten.

Auf dieser Grundlage möchte ich ein Modell der formal-strukturellen Comicanalyse vorstellen, das offen genug ist, um auf unterschiedlichste Comics angewendet zu werden. Dabei stütze ich mich vor allem auf narratologische Ansätze der Comicforschung, ziehe allerdings auch Arbeiten aus dem Bereich der kunsthistorischen Erzählforschung hinzu, die meiner Meinung nach von der interdisziplinären Comicforschung bisher zu wenig rezipiert worden sind. Auf diese Weise möchte ich einen Impuls zur Erforschung der Phasenbildung in der Comicrezeption geben.


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