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Abstract

Matthias Harbeck
Ressourcen für die Comic-Forschung?
Deutsche Bibliotheken auf dem Prüfstand

Als klassisches Printmedium, normalerweise in einer Vielheit publiziert, fällt der Comic in den Verantwortungsbereich der Bibliotheken. In seiner Rede zur Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar bezeichnete Bundespräsident Horst Köhler Bibliotheken als ein "Gedächtnis der Menschheit", das für die Zukunft gesichert werden müsse. Es sei deshalb notwendig, die "kulturelle Überlieferung in gedruckter und digitaler Form langfristig" in Bibliotheken, Archiven und Museen - der geistigen Heimat für die Nation - zu bewahren. Die Institution Bibliothek scheint prädestiniert, um Comics zu sammeln und verfügbar zu machen. Doch gehören Comics im Selbstverständnis der bibliothekarischen Zunft zur kulturellen Überlieferung? Lange Zeit wurden Comics gerade von bibliothekarischer Seite als "Schund" abgetan und fielen demnach in Deutschland nicht unter den Sammelauftrag (womit sie allerdings keinen Einzelfall darstellen).

Eine Sicherung, wie es sie mittlerweile für Kinder- und Jugendliteratur gibt, sollte es auch für die graphische Literatur geben - Länder wie Frankreich, die USA oder auch Belgien betreiben sie. In Deutschland hat sich zwar seit den 1970er Jahren die Haltung zum Comic zunehmend geändert, das Bild vom Comic wurde in Feuilletons und in der wissenschaftlichen Diskussion ins Positive korrigiert, - aber mit zweifelhafter Reichweite. In dem Konzept der Arbeitsstelle für Graphische Literatur in Hamburg von 1990 wurde die Situation des Comics für Forschungszwecke in Deutschland noch als mangelhaft und unübersichtlich beschrieben.

Dabei steigt die wissenschaftliche Nachfrage seit den 1960er Jahren nach populärkulturellem Quellenmaterial. Zunächst hat sich mit der Etablierung der Cultural Studies in den USA ein Bedarf ergeben und auch in Deutschland ist die Populärkultur zunehmend zum Forschungsgegenstand so verschiedener Disziplinen wie der Literaturwissenschaften, der Soziologie, der Geschichte, der Ethnologie, der Kulturwissenschaft, der Medienwissenschaft und der Kunst avanciert. Konrad Umlauf zufolge sollen Comics in repräsentativer Zahl und nach Möglichkeit qualitativ hochwertig als vollwertiges Sammlungsobjekt wahrgenommen und in die übliche Bestandspraxis integriert werden - aber geschieht dies tatsächlich? Seit 1970 sind immer wieder Handreichungen für Bibliothekare (und Buchhändler) erschienen, die ihnen den Umgang mit der ungeliebten Bestandsgruppe und den Aufbau repräsentativer und qualitativ hochwertiger Sammlungen erleichtern sollten, allerdings zeigten diese nur bedingt Auswirkungen. Die überwiegende Mehrheit dieser Schriften richtet sich ans öffentliche Bibliothekswesen, eine Diskussion um Comics an wissenschaftlichen Bibliotheken, wie sie teilweise in den USA in Fachorganen geführt wird, findet nicht statt. Auch 16 Jahre nach dem ArGL-Konzept beklagen Vertreter der deutschen Comicforschung die Nichtachtung der Medienform im wissenschaftlichen Sektor.


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