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Abstract

Christian A. Bachmann:
Fiktionalitätsbewusstsein und Selbstreflexion im Comic

Die Frage nach dem Wesen des eigenen Mediums ist für Verfasser literarischer Texte, für bildende Künstler und vor allem auch für Comiczeichner im 20. Jahrhundert, für ihr Selbstverständnis zunehmend wichtiger geworden. Beispiele dafür gibt es viele, allen vorweg Will Eisner ("Comics & SequentialArt", "Graphic Storytelling") und Scott McCloud ("Understanding Comics", "Reinventing Comics"). Das wachsende Interesse der Autoren an ihrem Medium geht einher mit einer Verschiebung des Comic- Begriffs: von der "Massenzeichenware" zum hochwertigen und kulturell bedeutsamen Kunstwerk. Wurde am Ausgang des Jahrhunderts noch die Frage, ob Comics Kunst seien, selbst von Comiczeichnem bestenfalls belächelt, wächst seit einigen Jahren auch die Aufmerksamkeit, die Medien, Wissenschaft und Gesellschaft der Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Comics widmen. Die allerorts erscheinenden Comic-Sammelbände und -Sammelserien (z. B. F.A.Z.-Comic-Edition, BILD-Comic-Bibliothek) und die Gründung der Gesellschaft für Comic-Forschung sind hier deutliche Anzeichen. Sie lassen hoffen, dass weitere, vor allem wissenschaftliche Initiativen folgen, und insbesondere verschiedene interdisziplinäre Kräfte gebündelt werden, ist doch der Comic schon aufgrund seiner Beschaffenheit als Text-Bild-Medium (oder Bild- Text-Medium) für viele philologische, sozialwissen-schaftliche und geschichtswissenschaftliche Disziplinen interessant.

Autoreflexion, deren Basis das Bewusstsein der eigenen Medialität und deren immanenter Fiktionalität ist, ist der Versuch mit den medieneigenen Mitteln der Frage nachzugehen, welchen Anteil das Medium an der "Botschaft" hat, die es vermittelt. In der Selbstbespiegelung kann sich ein Paradigmenwechsel andeuten: Inhalte, die bisher für das Medium konstitutiv waren, treten hinter die Erforschung der medialen Bedingungen des Comics zurück, neue Möglichkeiten des Erzählens eröffnen sich und das Medium entwickelt neue Ausdrucksformen. Die ontologische Frage ist deshalb so bedeutsam, weil ihre Beantwortung Auswirkungen auf das Schaffen des Autors, damit auf den Comic selbst und letztlich auf das Medium als Ganzes hat. Die Frage nach dem Wesen des Comics ist mithin auch die Frage nach dem Wesen menschlicher Existenz überhaupt: Wie wir etwas tun und warum wir es (so) tun, bestimmt nicht zu letzt wer wir sind.

Mein Beitrag geht von einer doppelten Fragestellung aus: Welche Formen von Autoreflexivität gibt es im Comic? Und welche Funktionen haben sie? Diesen Fragen wird anhand von vier Beispielen nachgegangen: (1) In e. o. plauens "Vater und Sohn" wird im ironisch-spielerischen Umgang mit Zeichnung Komik erzeugt; (2) Paul Karasiks und David Mazzucchellis Umsetzung von Paul Austers "City of Glass" bespiegelt sich (u. a.) in anderen Comics ("Henry", "Nancy", "Dick Tracy"); (3) Art Spiegelman nutzt den zweiten Band seines epochalen Werks "Maus - A Survivor 's Tale", um auf die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion im Medium Comic aufmerksam zu machen und sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen, und in (4) "Nanairo lnko" von Tezuka Osamu schließlich, erwacht in den Figuren ein (scheinbares) Eigenleben - sie stellen den Gott Zeichner in Frage.


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